Predigt im Rahmen der ökumenischen Bibelwochen zur Sintflutgeschichte - 1. Mose 6-8 i.A.
Liebe Gemeinde,
auf dem Zettel sehen Sie eine Darstellung der Sintflut von dem Renaissance-Maler Hans Baldung, genannt Grien. Ein dramatisches, unheimliches Bild. Pechschwarze Wolken füllen den linken oberen Teil aus; sie hängen so tief, daß sie fast die Wasseroberfläche erreichen. Das Wasser hat schon alles bedeckt, bis auf die höchsten Türme der Stadt, die man im Hintergrund sieht. Menschen und Tiere kämpfen um ihr Leben. Zum Teil können sie sich kaum noch über Wasser halten. Andere klammern sich verzweifelt an Gegenstände, die im Wasser treiben. Ein Baby treibt in seinem Bettchen auf dem Wasser, dem Tod geweiht. Und mittendrin die Arche. Kein Schiff, sondern ein Kasten. Nach allen Seiten fest verschlossen. Erkennbar beste Handwerkskunst, mit Beschlägen verziert, wie zum Hohn für die Menschen, die sich verzweifelt an ihr festhalten und noch hineinwollen. Einer klettert sogar an ihr hoch – aber es gibt keinen Einlaß für ihn. Ein Bild, von dem man schwer loskommt, zugkleich ein Bild, das einen beklommen macht.
Als Kontrast dazu ein Bild von der Arche Noah aus einem Bibelbilderbuch für die Kleinsten: fröhlich treibt ein Schiff auf den Wellen, die Tiere schauen heraus, Noah winkt. Eng, aber gemütlich ist es auf der Arche. Anscheinend gibt es nichts Schöneres als eine Sintflut – wenn man in der Arche ist.
Welche Darstellung entspricht wohl eher dem, was wir in der Bibel lesen: diese oder diese? Leider muß man sagen: Natürlich die von Hans Baldung Grien. Erschreckend realistisch ist sie, bis ins Detail. Die Menschen und Tiere, die ertrinken – in den Kinderbüchern werden sie eher weggelassen.
Eigentlich ist die Sintflutgeschichte nichts für Kinder, nur weil Tiere und ein Schiff darin vorkommen. Ist sie überhaupt noch etwas für uns, in der heutigen Zeit?
Was ist das für ein Gott, der fast die ganze Schöpfung wieder vernichten will, weil ihm das Verhalten der Menschen nicht paßt? Und was haben ihm die Tiere getan, was hat das Baby verbrochen, das in seinem Bettchen auf dem Wasser treibt?
Geologisch, archäologisch nachweisen läßt sich so eine weltweite Flut, die sogar die höchsten Berge bedeckt, nicht. Sie ist auch schwer vorstellbar.
Andererseits: Geschichten von einer großen Flut, nach der die Menschheit wieder neu anfangen mußte, die gibt es auf der ganzen Welt, in vielen ganz unterschiedlichen Kulturen, und zum Teil sind sie der biblischen Sintfiutgeschichte erstaunlich ähnlich. Es muß sich um eine Art Urerfahrung der Menschheit handeln, die hier ausgedrückt wird.
Nicht nur, daß es verheerende Überschwemmungen geben kann, überhaupt daß es mit der Welt, in der ich lebe, ganz plötzlich vorbei sein kann. Das, worin ich mich eingerichtet habe, worauf ich mich verlassen habe, was mir selbstverständlich schien, es kann auf einmal wegbrechen, weggefegt werden, ob es sich um die Welt um mich herum handelt oder um meine ganz persönliche kleine Welt.
Das kann eine Flutkatastrophe sein wie im Ahrtal vor ein paar Jahren. Aber wir müssen heute auch daran denken, daß der Krieg gegen die Ukraine heute auf den Tag genau schon zwei Jahre dauert. Für uns hat das eine Zeitenwende bedeutet, wie der Bundeskanzler gesagt hat, weil auf einmal Krieg in nächster Nähe war und wir bereit sein müssen, daß er auch z kommen kann. Vor allem aber ist er über die Menschen in der Ukraine hereingebrochen, teilweise verheerend wie eine Sintflut, hat ihnen ihr Heim, ihre Heimat oder ihre Angehörigen genommen, wenn nicht das eigene Leben.
Die Menschen in Israel fühlten sich relativ sicher, bis am 7. Oktober die Hamas über sie herfiel, und als Folge davon können die Menschen im Gaza-Streifen nun kaum das bloße Leben retten und viele nicht einmal das.
Und über hunderttausend Armenier haben vor kurzem ihre Heimat in Bergkarabach verloren. Der heutige Sonntag gilt dem Gedenken an verfolgte Christen in der Welt. Die christlichen Armenier gehören dazu, und das schon seit langer Zeit.
Es gibt Ereignisse, die wie eine Sintflut über uns kommen können. Die Welt, in der wir leben, es ist nicht selbstverständlich, daß sie Bestand hat.
Und die Bibel sagt nun mit ihrer Geschichte: Das hat Gründe. So wie wir Menschen sind, so wie wir miteinander und mit der Schöpfung umgehen, in Anbetracht dessen, was wir aus der Welt gemacht haben, die doch eigentlich „sehr gut“ ist, wie es am Anfang der Bibel heißt – da könnte Gott auf den Gedanken kommen, seinen Versuch mit der Schöpfung als gescheitert zu erklären. Weil die Bosheit im Menschen so verankert ist, daß e sich nicht austreiben läßt. Denn das ist die Sintflut, wie die Bibel sie beschreibt: die Rückkehr zu dem Chaos, das herrschte, bevor Gott mit der Schöpfung begann, Himmel und Erde, Land und Meer voneinander trennte. Also viel mehr als nur eine große Überschwemmung.
Aber, und das ist es, was uns die Sintflutgeschichte sagen will: Gott will das eben nicht. Man muß sie von ihrem Ende her stehen. Die Urgeschichten am Anfang der Bibel, die handeln eigentlich nicht von früher, sie beschreiben die Welt, wie sie ist. Nämlich eine Welt, die Gott als etwas Gutes und für das Gute geschaffen hat; aber trotzdem gibt es so viel Böses in ihr, und so sehr sich Menschen auch um das Gute bemühen, es läßt sich nicht ausrotten. Und dennoch liebt Gott diese Welt, liebt er uns Menschen. Er gibt uns nicht auf. Er hält uns am Leben. Er macht einen Neuanfang möglich, auch wenn schon alles zu Ende zu sein schien.
Die Warnung, die in der Geschichte steckt und die das Bild von Hans Baldung Grien so nachdrücklich vor Augen stellt, die bleibt. Fürchterliche Not, wie wir sie auf dem Bild sehen, die gibt es ja wirklich, nicht weltweit, aber an vielen Orten der Welt, und öfter als man denkt nicht durch Schicksal, sondern durch menschliche Schuld herbeigeführt.
Aber festhalten sollen wir uns bei aller Schuld und aller Not an der Zusage Gottes:
Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen; denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf. Und ich will hinfort nicht mehr schlagen alles, was da lebt, wie ich getan habe. Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.
Gott liebt diese Welt, wie wir gesungen haben. Und wir Christen sagen: Er liebt sie so sehr, daß er seinen eigenen Sohn, daß er sich selbst in ihm dahingab.
Ich finde es wichtig, daß wir an diese Zusage Gottes denken, gerade in unserer Zeit. Denn ich habe den Eindruck, daß man jetzt mehr als früher Äußerungen hört wie: Nichts ist mehr so wie früher. Alles wird schlechter. Alles geht den Bach hinunter. Die Klimakatastrophe ist nicht mehr aufzuhalten. Die Politiker versagen. Die Gräben in der Geseschaft werden immer tiefer. Alle denken nur an sich. In der Kirche tut sich nichts, obwohl das kirchliche Leben immer mehr zerfällt. Glaube verschwindet nach und nach…
Ich könnte noch viele solcher Haltungen aufzählen. Das sind letztlich Sintflutgedanken. Alles ist schlecht und geht zugrunde und es lohnt sich nicht, dagegen etwas zu unternehmen. Damit macht man es sich einfach. Die Sintflut, das war die größte Vereinfachung, die man sich vorstellen kann.
Aber, das will uns die Bibel sagen: Gott will es sich eben nicht mehr so einfach machen. Er will seine Schöpfung erhalten, mit all ihren Fehlern, mit allen Schwierigkeiten, die das mit sich bringt. Er verspricht: Ich will sie erhalten und ich will sie zu einem guten Ziel führen, diese Welt, die Menschheit, uns, mich, jeden Einzelnen von uns. Und das läßt er sich einiges kosten.
Ich mache es mir nicht einfach mit euch, mit dir, weil ich dich liebe. Diese Zusage haben wir von ihm.
Und deshalb sollten auch wir es uns nicht zu einfach machen, mit unserem Urteilen, mit unserem Umgang mit der Welt, mit unseren Nächsten und mit uns selbst. Um der Liebe willen.
Amen.